Hochsensibilität – Kurzinformation

für Ärzt*innen, Therapeut*innen und weitere Vertreter*innen von Heilberufen

 

Liebe Expertinnen und Experten für Gesundheit und Wohlbefinden!

In Deiner täglichen Praxis wirst Du sehr wahrscheinlich mit Patient*tinnen konfrontiert, die sich als hochsensibel bezeichnen und Dich bitten, dieses Persönlichkeitsmerkmal im Kontext von medizinischer Diagnostik und Therapie zu berücksichtigen.

Falls Du mit diesem Terminus noch nicht vertraut bist, findest Du hier einen kurzen Überblick.

Das Konzept der Hochsensibilität hat in den letzten Jahren erheblich an wissenschaftlicher Aufmerksamkeit gewonnen. Es beschreibt eine besondere neurologische Konstitution, die etwa 15 bis 20% der Bevölkerung betrifft. Wichtig zu betonen ist, dass Hochsensibilität kein pathologischer Zustand ist, sondern eine normale Variation der menschlichen Persönlichkeit.

Dennoch besteht die Möglichkeit, einer erhöhten Vulnerabilität für Stress-assoziierte Erkrankungen. Eine ganzheitliche Betrachtung der Patient*innen, die die Hochsensibilität einbezieht, trägt zu einer verbesserten Gesundheitsversorgung bei. Dies manifestiert sich in verschiedenen Bereichen wie:

  • intensivere Verarbeitung emotionaler und sensorischer Eindrücke
  • möglicherweise erhöhte Anfälligkeit für bestimmte psychische Störungen, insbesondere Angststörungen und Depressionen
  • stärkere Reaktionen auf Medikamente
  • erhöhte Schmerzempfindlichkeit

Die neurobiologischen Grundlagen der Hochsensibilität sind Gegenstand aktueller Forschungen. Diese zeigen auch positive Aspekte der Hochsensibilität, wie gesteigerte Kreativität und Empathie. Vorläufige Erkenntnisse deuten auf Unterschiede in der Aktivität bestimmter Hirnareale hin, insbesondere in Regionen, die mit Aufmerksamkeit und Emotionsverarbeitung assoziiert sind. Diese Betrachtungswinkel könnten zukünftig zu neuen diagnostischen und therapeutischen Ansätzen führen.

Hochsensibilität, auch als erhöhte sensorische Verarbeitungssensitivität (SPS = Sensory Processing Sensitivity) bekannt, äußert sich in einer intensiveren Wahrnehmung und Verarbeitung von Umweltreizen. Diese neurophysiologische Besonderheit ist sowohl Herausforderungen als auch Chance für die medizinische Behandlung. Bildgebende Studien haben Unterschiede in der Gehirnaktivität und -struktur bei hochsensiblen Personen nachgewiesen, was die neurobiologische Basis dieses Persönlichkeitsmerkmals untermauert.

Im klinischen Kontext ist es wichtig, eine von Patient*innen behauptete besondere Empfindlichkeit weder a priori als pathologisch noch als Symptom für eine endogene Psychopathologie zu betrachten. Stattdessen sollte eine differenzierte Diagnostik erfolgen, die die spezifischen Eigenschaften hochsensibler Personen berücksichtigt.

Charakteristika hochsensibler Personen

  • verstärkte Sinneswahrnehmungen
  • erhöhte emotionale Reaktivität
  • tiefgründige Informationsverarbeitung
  • ausgeprägtes Einfühlungsvermögen
  • potenzielle Überreizbarkeit in stimulierenden Umgebungen

 

In der Praxis kannst Du folgende Beobachtungen machen:

  • Hochsensible zeigen oft eine erhöhte Ängstlichkeit vor medizinischen Eingriffen.
  • Sie reagieren möglicherweise sensibler auf Medikamente, was Dosisanpassungen erforderlich machen kann.
  • Ihre Schmerzwahrnehmung kann intensiver sein, was bei der Schmerztherapie zu berücksichtigen ist.
  • Sie nehmen subtile Veränderungen ihres Gesundheitszustands oft frühzeitig wahr.

Für einen optimalen Umgang mit hochsensiblen Patienten empfehlen sich folgende Maßnahmen:

  • Schaffe eine ruhige, reizarme Umgebung für Untersuchungen und Gespräche.
  • Nimm Dir ausreichend Zeit für detaillierte Erklärungen und Fragen.
  • Berücksichtige die mögliche Notwendigkeit niedrigerer Medikamentendosierungen.
  • Biete bei Bedarf zusätzliche Entspannungstechniken oder psychologische Unterstützung an.
  • Nutze die oft ausgeprägte Intuition und Selbstwahrnehmung dieser Patient*innen für eine präzisere Diagnostik.

In Ergänzung zu den bereits angeführten Aspekten der Hochsensibilität hier einige spezifische medizinische Fakten und Abgrenzungen zu anderen Krankheitsbildern.

Medizinische Fakten

  • Neurotransmitter-Systeme: Forschungen deuten darauf hin, dass bei Hochsensiblen Variationen in Genen bestimmter Neurotransmitter-Systeme vorliegen können. Insbesondere wurden Zusammenhänge mit dem Dopamin-, Serotonin-, Oxytocin- und GABA-System beobachtet. Diese „Plastizitätsgene“ könnten die erhöhte Reaktivität auf Umweltreize erklären.
  • Hirnaktivität: Bildgebende Studien zeigen bei Hochsensiblen eine erhöhte Aktivität in Hirnarealen, die mit Aufmerksamkeit, Empathie, Handlungsplanung und der Integration sensorischer Informationen assoziiert sind. Besonders betroffen sind Bereiche des präfrontalen Cortex und des limbischen Systems.
  • Stresshormonachse: Es gibt Hinweise darauf, dass Hochsensible eine veränderte Reaktivität der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse aufweisen könnten. Dies könnte zu einer erhöhten Stressanfälligkeit beitragen.
  • Immunsystem: Einige Studien deuten auf eine mögliche Verbindung zwischen Hochsensibilität und einer erhöhten Aktivität des Immunsystems hin, was zu einer gesteigerten Anfälligkeit für Autoimmunerkrankungen führen könnte.

Abgrenzung zu anderen Krankheitsbildern

  • Autismus-Spektrum-Störungen (ASS): Während sowohl Hochsensible als auch Menschen mit ASS eine erhöhte Sensitivität gegenüber Sinnesreizen aufweisen können, unterscheiden sie sich grundlegend in ihrer sozialen Kognition und Empathiefähigkeit. Hochsensible zeigen in der Regel eine ausgeprägte Empathie, während Menschen mit ASS oft Schwierigkeiten in diesem Bereich haben.
  • Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS): Obwohl beide Gruppen Schwierigkeiten mit Reizüberflutung haben können, zeigen Menschen mit ADHS eher Probleme mit Impulsivität und Aufmerksamkeitssteuerung, während Hochsensible oft sehr fokussiert und reflektiert sind.
  • Generalisierte Angststörung (GAS): Hochsensibilität kann mit erhöhter Ängstlichkeit einhergehen, unterscheidet sich jedoch von GAS durch das Fehlen einer pathologischen, unkontrollierbaren Sorge über verschiedene Lebensbereiche.
  • Sensorische Verarbeitungsstörung: Während beide Zustände eine veränderte sensorische Verarbeitung aufweisen, ist die sensorische Verarbeitungsstörung als neurologische Störung klassifiziert, während Hochsensibilität als Persönlichkeitsmerkmal betrachtet wird.
  • Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS): Obwohl beide mit intensiven emotionalen Reaktionen einhergehen können, fehlen bei Hochsensibilität die für BPS charakteristischen Merkmale wie Identitätsstörungen, Impulsivität und instabile zwischenmenschliche Beziehungen.

Es ist wichtig zu betonen, dass Hochsensibilität selbst keine Krankheit oder Störung ist, sondern ein Persönlichkeitsmerkmal. Allerdings kann sie die Vulnerabilität für bestimmte psychische und somatische Erkrankungen erhöhen, insbesondere unter ungünstigen Umweltbedingungen.

In der klinischen Praxis ist es daher essentiell, Hochsensibilität als möglichen Einflussfaktor zu berücksichtigen, ohne sie zu pathalogisieren. Eine differenzierte Diagnostik und ein individualisierter Behandlungsansatz sind entscheidend, um den spezifischen Bedürfnissen hochsensibler Patient*innen gerecht zu werden und potenzielle Komorbiditäten adäquat zu adressieren.

Die Berücksichtigung der Hochsensibilität in der medizinischen Praxis stellt eine Chance dar, die Präzision und Effektivität Deiner Behandlungen zu erhöhen und gleichzeitig das Wohlbefinden Deiner Patient*innen zu steigern. Arbeiten wir gemeinsam daran, das Verständnis für dieses Persönlichkeitsmerkmal in der Medizin zu vertiefen und dadurch Potenziale für eine verbesserte Gesundheitsversorgung zu nutzen.

Bei Fragen zum Thema bitte gerne melden.

Mail: babsi@hineinhören.at

WhatsApp / SMS: 0664/4 605 604

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🤗 Dieses Video ist Teil der Terra Xplore-Staffel “Wie viel fühlst du?”: https://kurz.zdf.de/B1wz/

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